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Die Ausstellung FOKUS: ERDE - Von der Vermessung unserer Welt in Potsdam. Mindestens seit den astronomischen Berechnungen der Maya wird die Welt vermessen und Daten aufgezeichnet und analysiert. Und nicht erst Computer machen aufwendige und genaue Berechnungen möglich. Daten gibt es also schon sehr lange.

Geodäsie in Potsdam

FOKUS: ERDE - Von der Vermessung unserer Welt

Die aktuelle Ausstellung zur Geschichte der Geodäsie in Potsdam. 1870 wird das Königlich-Preußische Geodätische Institut in Berlin gegründet und später auf den Telegrafenberg nach Potsdam zieht. Geodäsie ist die Wissenschaft von der Vermessung und Abbildung der Erde. Seit damals werden hier also Daten über die Welt gesammelt. Ausgestellt sind viele der wissenschaftlichen Präzissionsapparate, mit denen damals versucht wurde, so genau wie mögliche die Erde zu vermessen. Am beeindruckendsten zu sehen an den verschiedenen Pendelinstrumenten zur Messung der Fallbeschleunigung der Schwerkraft auf der Erde und den Basisinstrumenten zur genauen Vermessung großer Landflächen.

Die vermessene Welt

Vermessung mit Basisapparat des Geodätischen Instituts Potsdam, 1924

Die vielen Instrumente sind interessant, auf jeden Fall. Mit hoher Präzission gebaut und dadurch mit hoher Meßgenauigkeit ausgestattet, geniale Ideen, um die Fehlereinflüsse auf die Messungen zu minimieren. Und das alles vor über 150 Jahren.
Aber das eigentlich Beeindruckende waren für mich zwei andere Gedanken. Einmal, das schon damals ohne Rücksicht auf Zeit und Raum Daten gesammelt und ausgetauscht wurden. Ländergrenzen und selbst politische und kriegerische Auseinandersetzungen spielten keine Rolle, wenn es darum ging Daten zu sammeln und Meßreihen zu vervollständigen. Und der zweite war, daß die komplexen Berechnungen zur Herstellung der Meßinstrumente und die eigentlichen Berechnungen der Meßreihen ohne Rechentechnik durchgeführt und trotzdem hochgenaue Ergebnisse erzielt wurden. Von damals zu heute hat sich nur die Geschwindigkeit der Datenanhäufung und -verarbeitung extrem erhöht.

Daten ohne Grenzen

Nach der Erkenntnis, das die großen Ziele der Erdvermessung nur gemeinsam erreicht werden konnten, gründete sich 1864 die europäische Gradmessung als Wissenschaftsorganisation mit dem Ziel einer international koordinierten Vermessung Mitteleuropas, angeregt durch Johann Jacob Baeyer (1794-1885).
Das Projekt kam trotz der zeitgleichen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich zustande und die Organisation wurde sogar 1867 zum Netzwerk zur Europäischen Gradmessung erweitert. Und daraus folgte wiederum die Einführung des Urmeters – druch die Unterzeichnung der internationalen Meterkonvention 1875 durch 12 europäische Staaten, gefordert durch die Wissenschaftler des Netzwerks.

Ich finde das sehr erstaunlich, daß das damals so möglich war und hier das Interesse an einer gemeinsamen Vereinheitlichung den Beteiligten als so vorteilhaft erschien, daß sie das Abkommen unterzeichneten. Wie auch in der Ausstellung zu erfahren ist, gab es damals sehr viele verschiedene Maßeinheiten. Um 1800 gab es im Großherzogtum Baden noch 112 verschiedene Ellenmaße. Und die Ellen waren natürlich noch dazu in den Ländern unterschiedlich lang. Eine Vereinheitlichung der Längenmaße brachte wahrscheinlich so auch eine Vereinfachung von länderübergreifendem Handel mit sich, was zu Beginn der Industrialisierung auch eine Rolle gespielt haben kann. Das gemeinsame Interesse, die Maße zu vereinheitlichen, ist so vielleicht nicht nur der schönen Idee eines einheitlichen Systems zu verdanken. Aber wie auch immer es zustande kam, schließlich haben wir seitdem ein einheitliches und noch dazu einfaches Längensystem, welches auf dem Dezimalsystem beruht und nicht in Füßen und Ellen zählt. Obwohl das schon einen gewissen Unterhaltungswert hat, wie Randall Munroe in der Einleitung zu “what if” schreibt.
Wie man heute an den mehr oder minder scheiternden Vereinheitlichungen im technischen Bereich sieht, scheinen dann doch die wirtschaftlichen Interessen wieder zu überwiegen. Wie ich gerade feststellen mußte, nachdem meine neu bestellten USB-Micro-Kabel dann USB-3-Kabel waren, die nicht in meine USB-Micro Buchsen paßten, kommen jetzt also wieder ein paar Jahre mit 2 Arten von USB-Micro-Kabeln, bis die alten Geräte ausgestorben sind.

Datenreihen in der Zeit

Sehr beeindruckt hat mich die Energie und extreme Langsichtigkeit, wenn es um die Aufnahme von langen Datenmeßreihen geht. Hier scheinen Wissenschaftler die einzigen zu sein, die ihren Projekten eine Langfristigkeit mitgeben, einfach weil sie wissen, daß Zeit, lange Zeiträume, ein relevanter Faktor in der Natur ist.
Reinhard Süring führte am Neujahrstag 1893 am Potsdamer Observatorium erstmals Wetterbeobachtungen durch, die die Säkulare Reihe begründeten. Das ist eine der weltweit bedeutendsten, ununterbrochenen Klimameßreihen. Nach dem 2. Weltkrieg führte Süring sie 80jährig allein weiter, um sie nicht abreißen zu lassen.
Der Zusatz “…seit Beginn der Wettermessung”, wenn heute von Klimaextremen berichtet wird, bezieht sich auf solche Meßreihen. Ob Reinhard Süring damals erkannt hat, das sich Muster in den Wetterabläufen nur durch langfristige Beobachtungen erkennen lassen, daß man viele Daten brauche würde, um Wetter erklärbar zu machen? Was war sein Antrieb, sich an diesem Neuhjahrsmorgen auf den Potsdamer Telegrafenberg zu stellen und Temperaturen abzulesen und Windgeschwindigkeiten zu messen und irgendwie schon den Gedanken in sich zu tragen, das knapp 53 Jahre später immer noch zu tun?

Faktor Zeit

Natürlich war das ein bedeutender, wenn nicht der bedeutendste Faktor damals. Bei der Planung von Projekten, der Erforschung und der Dauer des Baus von Meßinstrumenten, der Dauer des Nachrichtenaustauschs, der Dauer von Expeditionen und schließlich der Zeit für die Auswertung der Meßergebnisse. Was im Vergleich zu damals wahrscheinlich um den größten Faktor schneller geworden ist: die Verarbeitung der Daten. Und die einzige Konstante auch heute noch? Die Dauer für die Aufnahme der Meßwerte, die Länge der Meßreihe ist so lang, wie gemessen wird. Und in allem leben die Daten, die natürlich von ihrer Natur her auch gleich geblieben sind. Und so eine ziemlich starke, verbindende Komponente in unsere Welt bringen. Sie werde heute wie damals gemessen und ausgewertet, gemeinsam, über Grenzen hinweg.

In die Ausstellung

Die Ausstellung ist auf jeden Fall sehenswert. Man bekommt einen sehr guten Eindruck der Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von damals und mit welcher Energie sie ihre großartigen Ideen und Visionen umgesetzt und so neue Sichtweisen auf unsere Welt ermöglicht haben.